STATEMENT und Lagebericht nach meinem Sabbatical und 60 Tagen Aufenthalt in USA. Musik, Politik, Transformation, Artivism, Mut, Soil. 

Angesichts der dystopischen Weltlage habe ich mich in meinem nun zu Ende gehenden Sabbatical intensiv gefragt: Was tun? Wo anfangen? Was kann ich mit meinen Möglichkeiten als Musiker, Familienvater, Hochschullehrer zu positiven Zukünften beitragen? Hier ein paar Gedanken und Zwischenstände.

Die erste persönliche Einsicht (auch in den vielen Gesprächen mit meiner Frau Silke): Transformation muss bei uns selbst beginnen. Natürlich ist es wichtig, im Gespräch zu bleiben mit Menschen, deren Haltungen einen fassungslos machen können – bei mir: Menschen, die nicht bereit sind, Dominanzen zu reflektieren solange sie ihnen selbst in die Karten spielen. Und auf bewusste Greenwasher, da steigt in mir die blanke Wut auf – aber Wut empfinden ja gefühlt alle. Deswegen erstmal sich selbst anschauen („man in the mirror?!“), atmen, zur Ruhe kommen, Ego kleinmeditieren, Mitgefühl grossmeditieren. Lernen, NICHTS zu tun. NICHTS. Sorge und Angst unterscheiden. 

Dann ran an ziemlich grundlegende Fragen: Was motiviert mich eigentlich wirklich, Tag für Tag diese nie enden wollenden ToDo Listen abzuarbeiten? Warum und für wen tue ich was – und was tue ich überhaupt? Welche Glaubenssätze kann ich wirklich unterschreiben? Welche Gewohnheiten loswerden? Ich stelle fest: Nichts ist hartnäckiger als das Gedankenkreiseln über Abgrenzung zu anderen, die es vermeintlich nicht so gut machen und meinen wie ich selbst ;-). Kommt das jemandem bekannt vor? 

Neue Perspektiven brauchen einen Ortswechsel. Ab Ende Januar war ich mit Silke für zwei Monate in USA, wir hatten beide zentrale berufliche Anknüpfungspunkte dort. Für uns besonders spannend, dass wir nach so vielen Jahren Ehe (Silberhochzeit war schon) und bisher „getrennten“ Karrieren zum ersten Mal gezielt unsere Perspektiven (ihre als Wissenschaftlerin, meine als Künstler) zusammenfliessen lassen. Insofern sind die Erkenntnisse und Zeilen unsere gemeinsamen, das ist mir sehr wichtig!

Ausgerechnet in der Anfangsphase der Regierung Trump kamen wir in Boston an. Wir fühlten uns wie im Auge eines Wirbelsturms: scheinbar normales, sattes Leben mitten in einer Gesellschaft, die mit einer furchterregenden Anti-Zukunfts-Agenda überflutet wird: Es scheint einem, als werde gezielt genau das Gegenteil von dem fokussiert, was Zivilisation lebenswert und überlebensfähig macht: Empathie, Gerechtigkeit, Bildung, Vielfalt, Wissenschaft, starke Gemeinschaft, eine Kultur politischen Austauschs, Gesundheit, Ökologie etc. Stattdessen Steuersenkungen für Überreiche, Ausstieg aus dem Klimaschutz, Deportationen. What…? How dare you?! Die z.T. stumme Verzweiflung vieler Menschen dort spürend haben wir die frühen Phasen des Widerstands begleitet, waren bei Demos und (Kunst)aktionen und haben hautnah erlebt, wie entsetzt viele Menschen in den USA sind. 

Bei Gesprächen hört man aber auch die Selbstberuhigung, die Hoffnung: „it’s gonna swing back – in 4 Jahren ist alles wieder gut“. Ich glaube das nicht. Diese Regierung betreibt die Demontage der Demokratie systematisch und richtet irreparable Schäden an. Dies in einer Zeit, wo jeder Tag zählt, wo wir Gemeinschaft eigentlich aufbauen statt demontieren, d.h. regenerativ arbeiten sollten. Regenerativ bedeutet: gespaltene Gesellschaften und zerstörte Ökosysteme heilen. Bei allem Verständnis für die, die sich angesichts der düsteren Lage wegducken, emigrieren oder einfach nur ums Überleben kämpfen: jetzt müssen alle an Deck. Ob wir das wollen oder nicht – wir befinden uns in einer globalen Metakrise und haben noch ca. 10 Jahre, um noch einigermaßen etwas hinzubekommen. Irgendwie weiterwursteln geht nicht mehr, ohne eine tiefgehende Transformation riskieren wir alles.

Aber wie einen klaren Kopf behalten inmitten all der „Flut von Bullshit“? Wie positive Zukünfte erfinden, kreieren, pflanzen im übervollen Alltag und im Gegenwind der gesteuerten Desinformation? Eine grosse Aufgabe. Deswegen haben wir Orte aufgesucht, die inspirieren. Mit unserem Projekt SOIL MUSIC im Gepäck, das in der Verbindung von Kultur und regenerativer Ökologie einen umfassenden Lösungsansatz sieht, haben wir die Suchbegriffe „Art + Ecology + USA“ recherchiert und sind schnell auf grossartige Projekte gestossen. Auffallend viele in Kalifornien. Kein Wunder – die Westküste der USA war schon immer ein Ort der Innovation und Inspiration, des coolen, mutigen „Think Big“, des Erfindergeists und der spirituellen Erneuerung. Interessant übrigens, dass Musik ein Schlüsselfaktor war beim letzten grossen gesellschaftlichen Umbruch in den 60er/70er Jahren.

Also auf nach Kalifornien. In Los Angeles und San Diego, in Big Sur am legendären Esalen Institute und vielen Orten auf dem Land haben wir Menschen getroffen, die gerade jetzt „against all odds“ innovative, gemeinwohlorientierte Projekte auf- und durchziehen, die kreativ und mutig sind und vor allem: die es schaffen, über sich selbst hinaus zu denken. Hier ist ein Shift vom „Ego- zum Ecosystem“ zu spüren – und das ausgerechnet in den Trump-USA.

„Weave the basket“ nennt die Musikmanagerin Eva Soltes die Vernetzung von solchen Projekten über Grenzen hinweg. Ihre Verbindung von Kultur und Ökologie ist faszinierend: einerseits veranstaltet sie im Lou Harrison House in der Joshua Tree-Wüste faszinierende Konzerte und vermittelt internationale Musiker:innen an Schulen, an denen Kinder wenig Bildungszugänge haben, andererseits betreibt sie erfolgreich Permakultur am „Ground Zero des Klimawandels“ – auf ausgetrockneten Wüstenböden. Aber handelt es sich wirklich um ein „einerseits/andererseits“? Gehört das nicht eigentlich zusammen: Kultur und Agrikultur? Denn „Cultura“ (lat.) kann ebenso Anbau oder Pflege des Ackerbodens wie Pflege des Nährbodens der Seele bedeuten – z.B. in der Musik.

Der Popsänger Derek Richard Thomas aus Los Angeles spricht über das Thema „Soil“ auf internationalen Konferenzen und hat das Buch „How To Make Soil“ geschrieben. Seine Idee, die Regeneration des Bodens mit innerer Heilung („inner and outer soil“) zu verbinden und die Nähe der Begriffe „Soul“ und „Soil“ resonieren genau mit den Ideen von SOIL MUSIC.

Wir haben noch so viel mehr grossartige Projekte besucht und gespürt, dass unter dem Radar etwas vorangeht. Ja, es gibt Lösungen, es gibt Möglichkeiten. Aber diese können nur wirksam werden und vom Rand in die Mitte rücken, wenn sich richtig viele anschliessen und bereit sind, ihre Zeit zu investieren und sich zu verschenken. 

Steht nicht sowieso eine grosse Umwälzung an? Man hört, dass Künstliche Intelligenz die Realität jeder einzelnen Berufssparte verändern wird. Wenn schon alles auf dem Prüfstand ist: warum nicht gleich einmal (vermeintliche) berufliche Zwänge neu justieren? Auf Möglichkeiten für mehr „Ego-to-Eco-System“ abchecken? Ich kann sagen: an meinem Arbeitsort, der Hochschule für Musik Freiburg, wäre viel Potential zur Veränderung hin zu einer gerechteren, gemeinwohlorientierteren, zukunftsfähigen Agenda.

Das bringt mich zum Anfang: Transformation beginnt bei uns selbst und in unserem Umfeld. Davon ausgehend können wir uns verbinden, öffnen, verletzlich machen und Formulierungen finden dafür, wo wir bei den wirklich wichtigen Themen stehen. Viele Menschen sind doppelt überwältigt: vom eigenen Alltag und der Metakrise. Und so geht es in Gesprächen oft mehr darum, Schocks über die Agenda der Rücksichtslosen zu verarbeiten, als über Lösungen zu sprechen und sich zum gemeinsamen Anpacken zu verabreden. 

Genau dort wollen wir mit SOIL MUSIC ansetzen: positive Zukünfte gemeinsam herbeiträumen und uns gleichzeitig etwas Handfestes einfallen lassen. Wer hier andocken will, in welcher Rolle auch immer, ist herzlich eingeladen, Kontakt aufzunehmen! Übrigens: am 27.9. steigt in St. Peter/Schwarzwald ein grosser Opening Event und ab Herbst diesen Jahres planen wir regelmässige Veranstaltungen und Aktionen. Alles dann im Netz zu finden. 

Sowie mein Lagebericht. Diese Zeilen sind unter Zeitdruck entstanden. Heute beginnt das Semester, das Sabbatical ist vorbei. Und dennoch mussten sie geschrieben werden. Im Moment ist jeder Gedanke teilenswert, der uns davon abhält, zu resignieren und uns daran erinnert, dass eine Metakrise eine Metachance ist.

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